Wenn ich an all die schönen Erinnerungen der 30 Jahre meiner Karriere als Musiker denke, so kann ich doch nicht das gleiche über die Erinnerungen sagen, die darüber hinaus gehen. Es ist keine Karriere im eigentlichen Sinne, es ist eher ein alltägliches Ringen auf dem Weg zu dem Ideal, das ich mir vorgestellt hatte.
Alles begann an einem Abend des Jahres 1977, als ich in der Schule zum ersten Mal im Rahmen einer Kulturwoche auf einer Bühne sang. Ein sehr zahlreiches Publikum hatte sich eingefunden, um die Anfänger, die wir waren, zu unterstützen und ihnen zu applaudieren.
Diese erste erfolgreiche Vorstellung gab mir den Geschmack, die Lust und den Mut, diesen Weg zu wählen. Viele Menschen, die ich Wochen und Monate später auf den Straßen traf, beglückwünschten und ermutigten mich, meinen Weg weiter zu gehen.
Von 1977 bis 1982 sang ich zuerst Lieder großer Stars aus Togo, Afrika, Amerika, Frankreich, England und aus der Folklore meiner Provinz. Es war zu dieser Zeit (1980), dass ich ohne Anleitung eines Lehrers begann, auf der Gitarre zu spielen.
1982 hatte ich auch schon mein erstes eigenes Lied in französischer Sprache komponiert, das „Ne crie pas“ (Schrei nicht) hieß und allen Müttern gewidmet war. Dann folgte „Ngo n’go“, ein Reggae-Stück in der Ewe-Sprache.
„N’go n’go“ war der große Erfolg des Jahres 1982. Es war in der Tat dieses Lied, das mich durch den Auftritt in der Sendung „Coup de pouce“ des togolesischen Senders TVT im ganzen Land bekannt gemacht hat. Es stieß auf großes Interesse bei der Jugend und „Joe Kiki“ wurde Monsieur N’go – n’go, der mit seiner Gitarre durch die Straßen von Lomé, Cotonou und Accra zog.
Es muss hervorgehoben werden, dass es bei der Klasse, die sich als intellektuell empfand, in jener Zeit nicht gut ankam, in der heimischen Mundart zu singen. Dennoch fand dieses Lied glücklicherweise großen Zuspruch beim breiten togolesischen Publikum. Es eroberte die Herzen der Togolesen.
1977 drückte ich noch die Schulbank in Lomé. In diesem selben Jahr fiel mir durch Zufall das von Koffi J. Adzomada herausgegebene Wörterbuch meiner Muttersprache in die Hände. Mir war bis dahin nicht bewusst, dass es so etwas geben konnte. Denn unsere Muttersprache existierte offiziell nicht, und sie war weder geschützt noch wurde sie gelehrt. Man hat uns immer glauben lassen, die französische Sprache sei ein unvergleichliches Instrument der Kultur und der Zivilisation und die Unsere sei nur ein Dialekt, anders ausgedrückt, die Sprache der weniger Zivilisierten.
Je mehr ich mich in die Lektüre vertiefte, wurde mir bewusst, dass das togolesische Volk, mit dem ich mich identifizierte und auch heute noch identifiziere, ein unterdrücktes Volk ist.
Ich verschlang alles, was ich an Büchern über die Geschichte Afrikas und Togos von den Anfängen der Kolonisation über die koloniale „Eroberung“ bis zu Unabhängigkeit im Jahre 1960 und das Verhältnis zwischen Togo und seinen Kolonisten finden konnte. Ich versuchte verzweifelt, mehr darüber zu erfahren! Und ich begann zu begreifen, dass man uns unserer Geschichte enteignet hat: wir wurden daran gehindert, eine korrekte Vision unserer Geschichte zu entwickeln.
Ich empfand sofort das Bedürfnis, ein Missionar der Ewe-Sprache zu sein, und sie durch meine Musik in der Welt zu verbreiten.
In den zentralen Epochen der Kolonisation, ich möchte lieber sagen der Besatzung, und besonders nach dem Erreichen der Unabhängigkeit Togos von 1960 bis 1975, hatte der Togolese nicht das Recht seine Muttersprache in der Schule zu sprechen. Französisch war die offizielle Sprache und einzige Unterrichtssprache.
Ich erinnere mich noch, so als ob es gestern gewesen wäre: da gab es ein Umhänge Schild, welches „Signal“ genannt wurde. Mit diesem „Schild“ wurden in den Schulen jene Schüler bestraft, die es wagten, ihre Muttersprache zu sprechen. Und jeder spottete über denjenigen, bei dem das „Signal“ landete. Es war eine unermessliche Schande. Man machte sich sofort auf die Suche nach einem anderen Schuldigen, einem anderen Unzivilisierten, denn sonst riskierte man, den ganzen Tag mit diesem schweren „Signal“ um den Hals herumlaufen zu müssen, mit einem Gefühl der Scham, weil man unfähig war, sich in einer zivilisierten Fremdsprache auszudrücken.
Ewe, unsere Muttersprache, war ausschließlich in privatem und inoffiziellem Rahmen erlaubt, also nur auf der Straße, zu Hause und in der Familie. Kurz gesagt, nur außerhalb des schulischen, akademischen und administrativen Bereiches.
Damals wie auch heute spricht man noch in den Verwaltungsbereichen, in den Banken und auch in allen großen Unternehmen Togos französisch. Spricht man mit Direktoren oder Vorgesetzte oder auch wenn diese einen Mitarbeiter oder Besucher ansprechen, dann geschieht das immer in Französisch.
Eine solche Situation wird unglücklicherweise von einem großen Teil der Togolesen als ein normales oder auch intellektuelles Verhalten empfunden! Hmm!!! Welch wundersame Ahnungslosigkeit der Franco-Afrikaner?? Was sollen nur unsere braven, intelligenten aber unglücklichen Eltern tun, die die Sprache der Kolonisten, eines Volkes, das sich als zivilisiert betrachtet, nicht beherrschen?
Man darf die Togolesen nicht dafür tadeln, äußerst enttäuscht über das Erbe zu sein, das die Kolonisation ihnen hinterlassen hat: ein Togolese, der sich französischer als ein Franzose gibt, fühlt sich fremd in seinem eigenen Land... Was für ein Widerspruch!
Selbst die Reform des Schulsystems, welche im September 1975 einsetzen sollte, um der Muttersprache einen Platz im Unterricht zu garantieren, hat die Situation nicht verbessert.
Dieser Zustand hat meine Weltsicht grundlegend verändert, allerdings ohne dass ich dadurch die Wurzeln meiner Herkunft verloren hätte.
Ich war empört, ich bin ein Revolutionär geworden, der seine Stimme und seine Gitarre wie Bob Marley, Lucky Dube und so viele andere benutzt, um diesen Wahnsinn der Menschen zu geißeln, der zur Diktatur, zur Vergewaltigung der Freiheit, zur Zerstörung anderer Kulturen und zum Morden führt.
Ich muss gestehen, dass die Musik viel zur Entwicklung meines analytischen Denkens und zur Konsequenz meines Urteils beigetragen hat.
Seitdem die Ehe zwischen der Musik und mir besiegelt wurde, habe ich aus ihr eine Mission gemacht.
1982 wollte ich mich mit der Theorie der musikalischen Sprache vertraut machen. Ich habe mich in einer Musikschule eingeschrieben. Aber der Lehrer verfügte nicht über einen eigenen Raum für seine Kurse. Er musste Mittwoch abends und Samstag morgens immer die freien Räume einer Schule nutzen. Eine Situation, die er nolens volens ertrug. Nach einigen Monaten löste sich diese schöne Initiative in Luft auf.
1990 /1991 auf dem Höhepunkt des unbegrenzten Generalstreiks, der neun Monate anhalten sollte und mit dem Togo alle Rekorde schlug, habe ich Freedom Power und Ce jour-là komponiert. Freedom Power – „Die Macht der Freiheit“ ist eine Hymne auf die Freiheit, ein Schrei in der Not aller Übel, die Afrika, den schwarzen Kontinent untergraben.
1992 hat mich die Vorsehung zu einem gewissen Farex Yousef geführt, der mich in einer Sendung der TVT (Sender des nationalen togolesischen Fernsehens) gesehen hatte. Farex, von Beruf Coiffeur, war sehr musikbegabt. Er hatte mir angeboten, mich kostenlos in Musiktheorie zu unterrichten!!. „Weil Du Talent und eine schöne Stimme hast“, sagte er. Gleich am nächsten Tag legten wir los.
Nach drei Monaten war er begeistert von meinen Fortschritten und lobte meinen Fleiß.
Sechs Monate später habe in einer Reparaturwerkstatt für Klaviere, der einzigen in Lomé, nachgefragt, ob ich dort in Praxis umsetzen dürfe, was ich in der Theorie gelernt hatte. Der Eigentümer, ein Mann in den Sechzigern, nahm meine Bitte positiv auf, gab mir aber zu verstehen, dass er nicht mehr genug Energie habe, mir zu helfen. „Du kannst kommen, aber versuche, ohne meine Hilfe zurecht zu kommen“, sagte er.
Als er meine Fortschritte nach einigen Monaten sah, fragte er mich, ob ich nicht Schüler aufnehmen wolle, die auch Lust hätten, das Klavierspiel zu lernen. Wie hätte ich nein sagen können! „Meister, warum nicht?“ antwortete ich ihm. Am nächsten Tag vertraute er mir die Schlüssel zu seiner Werkstatt an. Innerhalb weniger Wochen stellten sich 20 Schüler ein. 17 Kinder und drei Erwachsene. Nach einem Jahr hatten wir keinen Platz mehr, um neue Schüler aufzunehmen. Wir hatten die Zahl von 50 für einen Saal von 20 Quadratmetern überschritten.
Ich bin sein direkter Mitarbeiter und in gewisser Weise Chef des Ateliers und Musiklehrer geworden. Alles lief wie am Schnürchen. Meine Schüler waren zufrieden mit mir und ich war stolz auf sie. Manche Eltern baten mich sogar, bei ihnen zu Hause Unterricht zu erteilen.
Zugleich gingen die theoretischen Kurse mit Farex weiter, bis ich 1996 nach Deutschland aufbrach.
Die erste Hälfte meiner 30 jährigen Musikkarriere hat sich also in Togo, in Afrika zugetragen, mit einem kurzen Aufenthalt in Frankreich (in den Pyrenäen) und in Spanien (Jaca) im Jahr 1987. Die zweite Hälfte praktisch kontinuierlich in Deutschland, wo ich noch heute lebe.
Ich gestehe, dass zu den Höhepunkten meiner Karriere von 1982 bis 2012 große historische Momente, außerordentliche Leistungen, Momente großer Entfaltung, aber auch enorme Schwierigkeiten zählen, die mich niemals von der Musik trennen konnten. Sie ist und bleibt eine Quelle meiner Lebensfreude.
Wenn ich auf die Jahre zurückblicke, dann wird mir heute bewusst, dass ich nach meinem Engagement für die Gerechtigkeit in einem freien Togo und in einem unterjochten Afrika, in einem Wort für die Gerechtigkeit überhaupt, vor allem für den Respekt vor der Vielfalt der Kulturen und der Traditionen der Völker der Welt kämpfe.
Hier ist nun die Gelegenheit, all jenen zu danken, die mich moralisch, geistig und materiell unterstützt haben. Unendlich dankbar bin ich vor allem Axel Jost, der mich über diese 15 Jahre hinweg in meiner Karriere beobachtet hat. Ich würde es lieber Euch überlasse, es zu lesen ein kleiner Auszug aus seinem Interview (der vollständige Artikel findet sich auf meiner Internetseite oder in dem Magazin „Hörerlebnis“, Ausgabe 80 – Leidenschaft für Musik).